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Vier Jahrhunderte Berliner Architekturgeschichte: das Forum an der Museumsinsel

ein PLatz in Berlin bei Nacht
Dezember 2023

Wir haben tolle neue Nachbarn besucht.
Nur wenige Schritte von den Hackeschen Höfen, zwischen Oranienburger Straße und Spree, hat das Forum an der Museumsinsel eröffnet. Hier kann ein Ensemble frisch herausgeputzter Architekturdenkmäler unterschiedlicher Stilepochen wiederentdeckt werden. Ein Gewinn für Berlin-Mitte.

Acht Baudenkmäler

Die Hackeschen Höfe bleiben sich treu, ihre Nachbarschaft verändert weiter ihr Gesicht. In Fußnähe zu den Höfen an der Oranienburger Straße wurden 2023 gleich zwei neue Stadtquartiere eröffnet. Neben dem Quartier am Tacheles ist auch das von den Bauherren so genannte „Forum an der Museumsinsel” endlich fertig geworden – nach fast 20 Jahren Planung und Restaurierung. Zu dem gigantischen Stadtreparatur-Projekt gehört ein großes Stück Berlin in prominentester Lage zwischen Oranienburger Straße, Monbijou-Park und Museumsinsel.

Hier befand sich Anfang des 20. Jahrhunderts mit dem Haupttelegrafenamt und dem Fernsprechamt die Kommunikationszentrale der Hauptstadt. Im südlichen Bereich zur Spree hin schlossen sich Klinikgebäude der Charité an. Die acht denkmalgeschützten Gebäude umfassen unterschiedliche Stilepochen vom Klassizismus bis hin zu Expressionismus und Bauhaus-Moderne. Ein Abstecher lohnt sich – zum Beispiel nach einem Besuch der Hackeschen Höfe.

Foto oben: der zentrale Platz des Forums an der Museumsinsel,
sämtliche Fotos: © Forum Museumsinsel GmbH & Co.KG

Industrial-Schick

Neben Büros und Luxuswohnungen sind hier neben einem neuen Platz mehrere Cafés, Restaurants, Bars und ein Hotel entstanden, also Orte, die für die Öffentlichkeit zugänglich sind. Besuchern bieten sich spannende Einblicke in aufwendig restaurierte Industriearchitektur. Zum gediegenen Industrial-Schick der Innenausstattung gehören – wir sind schließlich in Berlin – roher Beton, Patina, unverputzte Klinkerwände, alte Lastkräne und Maschinen. Die Geschichte der Gebäude bleibt erkennbar – das nahe Neue Museum und das Konzept seiner Wiederherstellung grüßen über die Spree. Architekt David Chipperfield war mit seinem Büro auch beim Forum an der Museumsinsel involviert.

Diesel meets Bier

Ein früher geschlossener Block öffnet sich jetzt zur Nachbarschaft. Gegenüber der Synagoge gelangt man von der Oranienburger Straße durch ein neu errichtetes Torhaus auf einen neuen Stadtplatz, das Zentrum des Ensembles. Ein großer Bildschirm in einem der Tordurchgänge informiert über die Geschichte der einzelnen Gebäude. Der Platz wird beherrscht vom historischen „Dieselhaus”. Dort hat sich auf geräumigen zwei Etagen das Restaurant „Diesel” etabliert. In industriellem Ambiente wird hier bayerisches Bier und bodenständige Küche serviert. Spezialität des Hauses: Gäste können sich ihr Bier aus einem Holzfässchen am Tisch selber zapfen.

Früher war im Dieselhaus ein gigantisches, mit Diesel betriebenes Notstromaggregat untergebracht, das im Falle eines Stromausfalles die Stromversorgung der Fernmeldezentrale sicherstellen sollte. Die beeindruckende Maschine beherrscht heute sorgfältig gereinigt und poliert den Speiseraum des Lokals. Der Biergarten hat sich im Sommer bereits zu einem Publkunmsmagnet entwickelt. Hier kann man dem Plätschern eines Sprinrunnens lauschen, so geschützt vor Verkehrslärm wie kaum irgendwo sonst in Mitte. Tagsüber haben am Platz noch zwei Cafés geöffnet, Einzelhandel gibt es nicht. Bei einem Vor-Ort-Besuch an einem Winterabend wirkt der Platz noch recht unbelebt. Von der im Konzept der Entwicklungsgesellschaft vorgesehenen Eisbahn ist im ersten Winter noch nichts zu sehen.

Foto links: Ein ehemaliges Dieselaggregat ist der Blickfang im Restaurant „Diesel”

Der Investor


Die Grundstücke des Areals wurden zu Anfang des Jahrtausends von dem Unternehmer und Investor Ernst Freiberger (73) nach und nach erworben. Entwicklung und Restaurierungsarbeiten zogen sich über 20 Jahre hin, mehrere 100 Millionen Euro wurden investiert. Der in der Boulevardpresse gerne als „Pizza-Millionär” bezeichnete Freiberger entstammt einer Back- und Eiskrem-Dynastie aus Bayern, machte ein Vermögen mit Tiefkühlpizza, betreibt Kliniken und hat in Berlin bereits am Spreebogen ein großes Immobilienprojekt gestemmt. Das Forum an der Museumsinsel scheint Freiberger ein Herzensanliegen gewesen zu sein. Seine Frau, eine Innenarchitektin, war an der Ausstattung der Gebäude beteiligt. Freiberger will die Gebäude nur vermieten und nicht weiterverkaufen, am Hotel und dem dazugehörigen Restaurant ist er beteiligt.

Das Telegraphenamt

Das größte Gebäude des Forums ist das des ehemaligen Haupttelegraphenamts der Stadt. Es entstand zwischen 1910 und 1916 im Stil des Neobarock. Es war das größte seiner Art in Europa und Mittelpunkt eines damals wegweisenden Kommunikationsnetzes. Von hier aus wurden täglich bis zu 20.000 Telegramme versendet. Im Kellergeschoss des Gebäudes befand sich die Rohrpostzentrale Berlins: Nachrichten und Gegenstände wurden mittels Druckluft in zylindrischen Behältern zu rund 100 Stationen befördert. Das Berliner Rohrpostnetz erstreckte sich auf bis zu 400 Kilometer. Die Rohrpostanlage war noch bis 1976 in Betrieb. Um Denkmalschutzauflagen zu genügen, mussten die Bauherren die Rohrpostanlage erhalten. Leider kann sie aber nicht in Gänze besichtigt werden. Ein Seitenflügel des ehemaligen Telegraphenamts wurde in moderne Büroflächen verwandelt, die von IT-Unternehmen genutzt werden.


Foto rechts: das Hotel Telegraphenamt

Back to the Roots


Im Hauptgebäude, mit dem Eingang zum Monbijoupark, befindet sich das „Hotel Telegraphenamt“ mit 97 Zimmern. Die elegante Ausstattung der Zimmer mit viel dunklem Holz und Industrial-Elementen hebt sich wohltuend vom Kitsch anderer Häuser des gehobenen Segments in Berlin ab. Das Angebot reicht vom Doppelzimmer (ab 285 Euro pro Nacht) über Maisonetten-Suites (ab 550 Euro) bis hin zu einer 140 Quadratmeter großen Residenz im obersten Stockwerk. Hier genießen Gäste, die dafür mindestens 1.200 Euro hingelegt haben, einen einzigartigen Blick auf die Innenstadt und den Fernsehturm.

Auch für Neugierige, die nicht im Telegraphenamt übernachten möchten, lohnt sich ein Blick in die beeindruckende großräumige Lobby und die Innenausstattung zwischen Industrial und Art-Deco. Auch ein alter Apparat für das Versenden und Empfangen von Rohrpostbüchsen kann hier bewundert werden.
An die Lobby schließen sich das Restaurant „Root” in einem überdachten ehemaligen Innenhof und die gleichnamige Bar an. Wie auch das Hotel werden Restaurant und Bar von Roland Mary, dem Chef des legendären „Borchardt” gemeinsam mit Investor Ernst Freiberger bewirtschaftet. Das „Root” serviert Sushi und andere Spezialitäten aus unterschiedlichen Teilen der Welt, möchte das Konzept aber nicht „Fusion” nennen. Wer ohne Lärm in einem besonderen Ambiente speisen möchte, sollte das „Roots” ausprobieren.

Das „LOGENHAUS”

Das „Logenhaus” schließt sich an der Oranienburger Straße an das Telegraphenamt an. Es ist das älteste Haus des Areals. 1789 gebaut, ist es ein hervorragender Bau des Klassizismus in Berlin. Der Sitz der „Großen Landesloge der Freimaurerei Deutschlands“ war mit repräsentativen Versammlungsräumen ausgestattet und gilt als ältestes noch erhaltenes Ordenshaus Deutschlands. 1898 erwarb die Reichspost das Haus und nutzte es unter anderem für die Paketausgabe. Das Gebäude wird nach der Restaurierung für Büros genutzt.

DAS FERNSPRECHAMT

Das ehemalige Fernsprechamt an der Tucholskystraße beeindruckt mit einer expressionistischen Klinkerfassade. Es wurde 1926 bis 1927 innerhalb kürzester Zeit gebaut. Durch den zunehmenden Bedarf an Telefonverbindungen wurde ein neues Fernsprechamt in Berlin dringend dringend benötigt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde das Fernsprechamt um das Institut für Post- und Fernmeldewesen der DDR erweitert, das seitdem das Eckgebäude zur Oranienburger Straße bildet. Das Gebäude wird komplett vom Unternehmen Delivery Hero genutzt.


Foto links: das ehemalige Fernsprechamt Berlins

Von der Klinik zur Suchmaschine


Der südliche Bereich des „Forums an der Museumsinsel” zwischen Ziegelstraße und Spree wurde seit dem frühen 19. Jahrhundert als Klinikstandort von der Charité genutzt.  Zum sogenannten „Gropius-Ensemble” gehören mehrere Gebäude, die, von David Chipperfield neugestaltet, schon seit 2019 von Google genutzt werden. Das Hauptgebäude wurde zwischen 1879 und 1883 von Martin Gropius und Heino Schmieden im Stil der Neorenaissance errichtet. In einem rückwärtigen Rundbau befindet sich ein großer Hörsaal, in dem zu Anfang des 20. Jahrhunderts der berühmte Chirurg Professor Sauerbruch unterrichtete. Sehr auffällig ist das Gebäude mit den großen halbrunden Fenstern direkt an der Spree.

Zum sogenannten „Gropius-Ensemble” gehören mehrere Gebäude, die, von David Chipperfield neugestaltet, schon seit 2019 von Google genutzt werden. Das Hauptgebäude wurde zwischen 1879 und 1883 von Martin Gropius und Heino Schmieden im Stil der Neorenaissance errichtet. In einem rückwärtigen Rundbau befindet sich ein großer Hörsaal, in dem zu Anfang des 20. Jahrhunderts der berühmte Chirurg Professor Sauerbruch unterrichtete. Sehr auffällig ist das Gebäude mit den großen halbrunden Fenstern direkt an der Spree.

Exklusives Wohnen in der Liegehalle

An der Ziegelstraße wurde Anfang der 1930er-Jahre in einem langgestreckten schlanken Bau die Frauenklinik der Charité im Stil der Bauhausmoderne errichtet. Eine windgeschützte Liegehalle auf dem Flachdach erregte damals großes Aufsehen. Charakteristisch ist der Rundbau zur Spree hin. Hier befand sich ein Gymnastiksaal mit einem spektakulären Blick auf die Museumsinsel, das Rote Rathaus und den Alexanderplatz. Auch dieses Gebäude, „Das Bauhaus” genannt, wurde von David Chipperfield umgestaltet. Hauptmieter ist eine Werbeagentur, in den oberen Stockwerken befinden sich Wohnungen.
Schließlich zählen noch zwei schmucke Stadtpalais vom Anfang des 20. Jahrhunderts zum Forum. Heute dürfen dort reiche Menschen eine einzigartige Wohnlage direkt an der Spree und an der Museumsinsel genießen. Das neobarocke „Monbijou" an der gleichnamigen Straße wurde 20 Jahre nach seiner Erbauung Teil der Frauenklinik. Das neoklassizistische „Simon Palais“ liegt an der Spreepromenade gegenüber dem Bodemuseum. Die Ida-Simon-Stiftung baute dieses Palais im Jahr 1911 als Krankenstation für bedürftige Frauen und Mädchen. Zumindest hier dürfen auch Normalsterbliche die exklusive Lage genießen: Im Erdgeschoss befindet sich ein Café, das hervorragenden Kuchen anbietet. Im Sommer kann man seinen Kaffee an kaum einem schöneren Ort in Berlin einnehmen als draußen vor der Tür des Palais.

Foto rechts:  die Frauenklinik der Charité, 1931-33 nach Entwürfen von Heinrich Wolffim Bauahaus-Stil erbaut, links schließt sich das Palais Monbijou an

Foto unten links: Simon Palais, rechts: Palais Monbijou